Weichen im Modell

Was sind die Kriterien für die Beurteilung eines Modellgleissystems? Zum einen natürlich die Nachbildung der Details einer Weiche.

Mehr interessieren uns hier aber die geometrischen Eigenschaften eines Gleissystems. Gibt es eine Weiche mit geradem oder wenigstens quasi geradem Herzstück, also ein Gegenstück zur Standardweiche des Vorbildes, der EW-190-1:9? Ist eine Unterscheidung zwischen Einfahrweichen und Regelweichen möglich? Passen Kreuzungsweichen und Weichen hinsichtlich der Radien und der Winkel zusammen? Lässt sich die Standardsituation des Vorbildes "Außenbogenweiche im Gegenbogen" ins Modell umsetzen? Wie brauchbar sind die Innenbogenweichen? Die Gründe für diese Auswahl werden in den Artikeln über die Weichen des Vorbildes auf dieser Internetpräsenz deutlich gemacht und hier deswegen nicht wiederholt.

Und drittens: Wie stark sind die Weichen gegenüber dem Vorbild verkürzt? Hierzu einige Erläuterungen: Eine Gleisverbindung aus EW-190-1:9 ist bei 4 m Gleisabstand 49 m lang, bei maßstäblicher Nachbildung im H0-Modell also 564 mm! Da der Raum zwischen zwei Kellerwänden in aller Regel beschränkt ist, werden die meisten Modellbahner gezwungen und bereit sein, eine gewisse Verkürzung in Kauf zu nehmen. Dies ist auch durchaus vertretbar, denn im allgemeinen sehen wir nicht aus der Vogelperspektive, sondern in recht flachem Winkel auf die Gleise, wer Weichenlängen und Radien abschätzen will, wird sie meistens zu kurz bzw. zu eng schätzen. Daher wird auch eine verkürzte Weichenstraße optisch fast maßstäblich wirken. Die Illusion wird erst zerstört, wenn lange Fahrzeuge durch diese Weichen fahren, da sich die Wagenenden unnatürlich weit aneinander vorbei bewegen. Das Fehlen der Zwischengeraden bei industriellen Gleissystemen verstärkt diesen Effekt noch.

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die einfachen Weichen der wichtigsten derzeit lieferbaren industriellen Gleissysteme. Die Angaben zur Verkürzung sind Durchschnittswerte, die den Katalogen entnommen oder geschätzt wurden, da man die nominellen Weichenlängen nicht mit dem Vorbild vergleichen kann wegen der anderen Geometrie. Genau genommen müsste man den Abstand vom Weichenanfang zur Herzstückspitze zum Vergleich heranziehen.

Vorbild190-1:6:6190-1:9300-1:9 GleisabstandVerkürzung
HerstellerBez.RadiusWinkelLänge Bez.RadiusWinkelLänge Bez.RadiusWinkelLänge
ROCO IW15888 mm15 °230 mmnicht vorhanden W101962 mm10 °345 mm61,6 mm35 %
ROCO IIW101962 mm10 °345 mmnicht vorhanden nicht vorhanden61,6 mm10 %
TILLIG H0-Elitenicht vorhandenW2484 mm15 ° W1866 mm15°59 mm56,5 %
PECOnicht vorhandenE195/6914 mm12 °219,4 mm E188/91524 mm12 °259 mm31 %
PIKO AW-908 mm15 °nicht vorhanden nicht vorhanden61,88 mm
MÄRKLIN K I2264440 mm22,5 °168,9 mmnicht vorhanden 902,4 mm14,43 °225 mm
MÄRKLIN K II902,4 mm14,43 °225 mmnicht vorhanden nicht vorhanden37 %

ROCO

Das ROCOline-Modellgleissystem beharrt auf dem klassischen System, dass die Weichen eine Teil eines Kreises sind. Das heißt zunächst, dass eine Weiche mit geradem Herzstück nicht angeboten wird, und das bedeutet weiter, dass der Regelgleisabstand mit 61,6 mm 34 mm über dem Regelabstand des Vorbildes liegt. Dies ist allerdings auch deswegen nötig, damit sich maßstäbliche Modelle von Schnellzugwagen auch in den engeren Radien des Systems problemlos begegnen können.

Da die Kreuzungweichen des Vorbildes Ableitungen der Weichen mit geradem Herzstück sind, hat ROCOs System einen Bruch zur Folge: die Kreuzungweichen haben nicht den gleichen Radius wie die Regelweichen (beim Vorbild 190 m), sondern einen deutlich geringeren.

In der Tabelle oben als ROCO II aufgeführt ist die Alternative, die 10°-Weiche als Nachbildung der EW-49-190 zu benutzen. Das geht schon deswegen, weil sie die gleiche Schwellenteilung abbildet wie die 15°-Weiche, die für die 190-m-Weichen des Vorbildes richtig ist, nicht aber für die 300-m-Weichen. Dann hat man eine fast maßstäbliche Modellweiche, kann allerdings alle anderen Weichen und Kreuzungsweichen des Systems nicht wirklich einsetzen.

Maßstäbe gesetzt hat ROCO mit der geradezu perfekten Nachbildung des Kleineisens. In dieser Hinsicht ist ROCO nach wie vor unübertroffen.

Die ursprünglich zum ROCOline-System lieferbaren Gleisbettungen wurden später wieder eingestellt. Sie gibt es nur noch für das neuere GEOline-System, das hinsichtlich der Geometrie wieder zum Spielzeug zurückgekehrt ist.

MÄRKLIN

Das MÄRKLIN-Gleis, später zur Unterscheidung von den neueren Systemen M-Gleis genannt, war das klassische Spielzeugbahnen-Gleis. Das C-Gleis, das das M-Gleis dann ablöste, behielt im Prinzip die Spielzeuggeometrie bei, allerdings entfielen die Weichen des Normalkreises. Das K-Gleis, das dann immerhin ein richtiges Schotterbett zulässt, ist sicher das Beste, was man ihm Rahmen des Dreileiter-Wechselstrom-Systems möglich machen konnte. Das Problem aller Mittelleitersysteme ist, dass der Schleifer über die Flügelschienen der Weichen hinweggeführt werden muss. Nur bei selbstgebauten oder umgebauten Weichen gäbe es die Möglichkeit, die Flügelschienen elektrisch dem Mittelleiter zuzuschalten. Wie auch immer, beschränkt man sich beim K-Gleis auf die langen Weichen (oben MÄRKLIN K II), so liegt man hinsichtlich der Verkürzung etwa dort, wo ROCO mit der W15 anfängt. Besser als gar nichts, oder? Und auf jeden Fall besser als das "profi"-Gleis von FLEISCHMANN!

TILLIG (früher PILZ)

TILLIG bildet die Staffelung der Weichenradien, die das Vorbild aufweist, sehr gut nach. Das ist die gute Nachricht. Allerdings zeigt der Vergleich mit ROCO in der obigen Tabelle, dass TILLIG das dadurch herstellt, dass unterhalb der W1 (die im wesentlichen der W15 von ROCO entspricht) eine noch engere und kleinere W2 angesiedelt wird, die dann allerdings ein gerades Herzstück hat. Man kann diesen Vorteil also nur nutzen, wenn man sich mit einer gegenüber ROCO nochmals stärkeren Verkürzung abfindet. Das ist die schlechte Nachricht. TILLIG gibt im Katalog einen Längenmaßstab von 1 : 200 an, das bedeutet eine Verkürzung um 56,5 % oder auf 43,5 % der maßstäblichen Länge!

Im Rahmen dieser drastischen Verkürzung allerdings bleibt TILLIG konsequent. Es wird einerseits eine noch längere Weiche möglich (W3), die als Nachbildung der EW-500-1:12 angeboten wird, und andererseits passen die Kreuzungsweichen, anders als bei ROCO, zu ihren Weichen, die mit innenliegenden Zungen genau, die mit außenliegenden Zungen immerhin noch halbwegs. Und noch ein Vorteil: Die 15°-Außenbogenweiche lässt sich im Gegenbogen einer W3-Einfahrweiche unterbringen, und damit ist eine wichtige Vorbildsituation ins Modell übertragbar. Sogar bei den kritischen Innenbogenweichen ist TILLIG dichter dran als jeder andere Hersteller: Da es ein Gegenstück zur EW-500-1:12 gibt, die W3 mit einem Radius von 1350 mm, müsste man eine Innenbogenweiche erwarten, deren äußerer Strang etwa den gleichen Radius hat und der innere etwa den halben. Dass ist mit der IBW 17/29 fast gegeben (Radien 934/543 mm). Man muss dem TILLIG-Gleissystem also bescheinigen, dass es hinsichtlich der Geometrie schon recht dicht am Vorbild liegt; leider kippt die starke Verkürzung es dennoch ins Spielzeughafte.

Messeknaller 2007: TILLIG kündigt maßstäbliche Modelle der Weichen 190-1:9 (EW6) und 190-1:7,5 (EW5) an. Konsequenterweise sagt der Hersteller dazu, dass diese Weichen im Rahmen des TILLIG-Systems und der systemeigenen Verkürzung den Vorbildweichen mit 760 m Radius entsprechen. Die Weichen sollen offensichtlich auch als Bausätze angeboten werden, mit denen man Außenbogenweichen bauen kann. Während ROCO die Schwellenlage der S49-Reichsbahnweichen mit den Breitschwellen nachgeahmt hat, hält TILLIG sich an modernere Vorbilder wie die S54- oder UIC60-Weichen.

PECO

PECO produziert nicht für den Spielzeugmarkt, was man schon daran sieht, dass keine geraden und keine Bogengleisstücke im Programm sind. Die Weichenbögen sind damit von dem Zwang befreit, Teil eines Kreises zu sein. Somit hat die Geometrie des PECO-Streamline-Systems den Vorteil, dass es, anders als z.B. bei ROCO, aber ebenso wie bei TILLIG, zwei Weichen mit dem selben Abzweigwinkel gibt, eine kürzere und eine längere, und sich die Vorbildverhältnisse in einem wichtigen Punkt gut nachbilden lassen: Es gibt für die EW-190-1:9 und EW-300-1:9 jeweils eine Entsprechung, eine Differenzierung zwischen Einfahrweichen und Regelweichen ist also möglich. Hinsichtlich der Geometrie ist PECO also ROCO klar überlegen. Der Vorteil im Vergleich zu TILLIG ist der flachere Winkel und die geringere Verkürzung, wie man auch der Tabelle entnehmen kann.

Zur längeren Weiche wird eine gleich lange Innenbogenweiche angeboten mit gleichem Radius im äußeren Strang. Das wäre das Ersehnte für eine Nachbildung einer 500-m-Weiche, aber nicht für eine 300-m-Weiche, so dass auch für das PECO-Streamline-Programm gilt, dass die Innenbogenweiche zu eng sind. Andererseits gibt es eine sehr brauchbare symmetrische Außenbogenweiche. Ebenso "passen" im wesentlichen die Kreuzungsweichen zu ihren Weichen.

Bei der Gestaltung der Gleise und Weichen folgt die Firma PECO ihrem wichtigsten Exportmarkt, den USA. Die Weichen entsprechen also im Prinzip amerikanischen Vorbildern. Das sieht man vor allem an der Schwellenlage, durchgehend senkrecht zum Stammgleis. In dieser Hinsicht fällt PECO hinter kontinentaleuropäischen Herstellern zurück.

PIKO A-Gleis

Das A-Gleis von PIKO, 2003 auf den Markt gekommen, ist so ziemlich die überflüssigste Neuerscheinung der jüngeren Modellbahngeschichte. Zum einen ist eine Profilhöhe von 2,5 mm wohl kaum noch zeitgemäß. Und was die Geometrie betrifft, hat man aus den Fehlern von ROCO nichts gelernt. Wer wird das kaufen? [Eine Menge Leute, sagt der Modellbahnhändler meines Vertrauens, die gehen weg wie warme Semmeln.]

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