Im Osten was Neues

Dieser Artikel erschien in der MIBA 10/1993. Spätere Aktualisierungen, z.B. wegen neuer Modelle oder neuer Erkenntnisse, sind rot gekennzeichnet.

Im Jahre 1948, als die deutsche Waggonbauindustrie kriegsbeschädigt darniederlag, bestellte die Noch-DR, Westzonen, zwei Güterwagen in der Tschechoslowakei, den späteren Omm39 und den Gm(s)39. Denn Omm39 gab es schon immer - und jetzt wieder - als maßstäbliches Modell von PIKO, beim Gm39 hingegen mußte man sich mit dem etwas zu kurzen Wagenkasten von ROCO begnügen; das mitgelieferte Fahrwerk war unbrauchbar. Nun, 35 Jahre später, kommt aus der gleichen Gegend (wenn auch nicht aus dem gleichen Staat - den gibt's auch nicht mehr) ein Modell des Gm39 hinterher: die tschechische Firma VACEK hat ihren Erstling abgeliefert.

Modell ist in allen Hauptabmeßungen maßstäblich, auch das Fahrgestell hat nun den korrekten Radstand von 69 mm und richtigerweise Einfachschaken, sogar die Federlänge stimmt. Kupplungsträger, die Lagerung der Achsen und sogar die Beschwerungsplatte sind offensichtlich von PIKO übernommen, so daß man um Ersatzteile nicht verlegen sein wird. Die Räder haben den maßstäblichen Durchmesser von 11,5 mm, da hapert's bekanntlich selbst bei ROCO. Sie sind aber aus Kunststoff, so dass sich ein Austausch gegen Radsätze von WEINERT empfiehlt.

Der Wagenkasten wirkt auf den ersten Blick zu hoch, aber ein Blick auf Zeichnung und Photos (Carstens/Ossig: Güterwagen. Band 1. Gedeckte Wagen. Nürnberg 1989. Seite 38-40) lehrt uns, dass er dennoch stimmt: Im Gegensatz zu deutschen Fahrzeugen reichte die Beplankung etwa eine Bretterbreite über die Oberkante des Langträgers hinunter.

Dennoch macht das ganze Fahrzeug einen etwas unwirklichen Eindruck. Das dürfte auf die ungewöhnliche Form der Bretterfugen zurückzuführen sein; sie haben einen rechteckigen Querschnitt (!) und sind schon deshalb viel zu breit. Hinzu kommt, daß zwar die Kastenstreben Nieten aufweisen, nicht aber die anschließenden Knotenbleche. Beides führt dazu, dass der Wagenkasten etwas stilisiert wirkt, obwohl oder gerade weil auch die Streben durchaus maßstäblich scheinen (merkwürdigerweise bis auf eine einzige Strebe, die rechte Kastenversteifung auf nur einer Seite, offensichtlich ein Fehler in der Form).

Wirklich falsch sind jedoch die Stirnseiten und das Dach. Der Gm39 hatte ein Blechdach; es fehlen also die Falze, die sich allerdings mit geringem Aufwand aus Drahtstücken o.ä. herstellen laßen. Mühsamer ist die Korrektur der Stirnwand: Der Wagen hatte im oberen Teil innerhalb der Dachwölbung eine Blechverkleidung. Wie die Vorbildaufnahmen zeigen, muß man die Kastenstreben zur Trauflinie hin schräg abschneiden und im oberen Teil abkratzen oder -schleifen, wenn man nicht gleich das ganze etwas klein geratene Profil abfeilt und durch ein Messing-U-Profil 1,5 x 0,8 mm von SCHULLERN ersetzt. Dann schließt man entweder die oberen Bretterfugen mit Kunststoffspachtel (gibt's bei REVELL), oder man klebt ein "Blech" aus dünnem Kunststoff oder Zeichenpapier auf. Der Wagenkasten ist mit Untergestell und Dach verklebt, also Vorsicht beim Auseinandernehmen.

Ein Hinweis allerdings ist nötig: Der gleiche Wagen lief ja auch bei den tschechoslowakischen Bahnen, und VACEK bietet ihn auch in dieser Beschriftung an; möglicherweise ist das Modell für die CSD-Ausführung durchaus richtig. Hat jemand ein Photo?

Rangierertritte und -griffe, Laternenhalter und Bremsumstellvorrichtungen fehlen völlig. Das ist meines Erachtens nicht allzu bedauerlich, denn selbst bei teureren Produkten sind sie oft viel zu dick oder nicht freistehend ausgeführt; wer also auf proportionierte Ausführung Wert legt, hat es beim VACEK-Gm39 viel einfacher, neue maßstäbliche Teile anzubringen, denn es entfällt der schwierigste Teil der Arbeit, nämlich die alten mühsam zu entfernen.

Unbrauchbar ist allerdings die Beschriftung. Sie ist unsauber, unvollständig - siehe Bremsecken - und zu klein. Witzig ist das "MC" im Kreis, das die Austauschbarkeit innerhalb des COMECON kennzeichnet und somit bei einem westdeutschen Fahrzeug nie aufgetaucht ist. Zum Glück gibt es eine Gm39-Beschriftung bei Gaßner.

Attraktiv ist aber der Preis: Nicht mehr DM 11,65 waren für das hier porträtierte Exemplar hinzulegen. Das erlaubt es beispielsweise, längere durchgehende Güterzüge preiswert zusammenzustellen, wo man nicht auf die Nachbildung der letzten Niete zu achten braucht. Trotz der vorgenannten Mängel ist also das Preis-Leistungs-Verhältnis durchaus gut. Wobei darauf zu verweisen ist, dass die ausführliche Schilderung der Fehler nicht den Zweck hat, einen Newcomer fertigzumachen, was angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen in den ehemaligen Staatswirtschaftsländern mehr als unfair wäre. Aber das eine oder andere ließe sich bei zukünftigen Modellen ohne Kostensteigerung beßer machen, auf auf weitere Modelle hoffen wir in der Tat. VACEK hat den Gms39, also den Gm39 mit Bremserhaus, und den Omm39 bereits angekündigt (letzeren überflüssigerweise auch KLEIN). Und für die Epoche III bieten sich zahlreiche tschechoslowakische Güterwagen zur Nachbildung an, die nicht nur als CSD-Fahrzeuge im internationalen Verkehr zu uns kamen, sondern als Kriegsfolge auch in den Bestand der DB kamen, wo sie die Bauartnummer 93 trugen, allen voran die langen gedeckten Gl93 und Glt93, zu denen es keine deutsche Entsprechung gab und die somit eine echte Ergänzung wären. Aber die DB verzeichnete auch Ol93, Oc93, Olm93, Om93, Omm93, H93, S93, Sk93, Sm93, SSlma93, Gm93, Gmm93, X93, Xf93, Xfl93 und XX93 in ihren Beständen. Auch für spätere Epochen gäb's genug anzupacken: Die vierachsigen Einheitstypen des COMECON, die im internationalen Verkehr häufig hier zu sehen sind und die ebenfalls typische Fahrzeuge ohne westeuropäische Entsprechung sind.

Das ist heute - Juli 2022 - fast 20 Jahre her. Mittlerweile gibt es das Modell in aktueller Qualität von Exact-Train. Der abgebildete Wagen im Umbau wurde nie fertig, ich bin irgendwann draufgetreten, und da war er hin.

Vacek-Gm39
Umbau
L3006700
E