Die Drahtkupplung

Dieser Artikel erschien im "HP1" (dem echten) Nr. 1/1997. Spätere Aktualisierungen siehe den zweiten Artikel zu diesem Thema.

Die Kupplungen sind im Modell nach wie vor das Teil, an dem jede Maßstäblichkeit scheitert, wenn sie betriebsfähig sein soll. In Spur 0 lassen sich maßstäbliche Originalkupplungen noch halbwegs kuppeln, in H0 wird dies zu einer Pfriemelei, die sich bei einem auf dem Gleis stehenden Fahrzeug nicht mehr vollbringen lässt, insbesondere wenn auf Masten, Gebäude und besetzte Nachbargleise zu achten ist. Die betriebsfähigen Kupplungen sind allesamt ziemlich voluminös, insbesondere die Kurzkupplungsköpfe aller Bauarten und Fabrikate. Die KADEE-Kupplung ist etwas weniger auffällig, aber relativ teuer, und von ihrem Aufbau her entspricht sie der amerikanischen Klauenkupplung.

Aus England kommt eine Alternative, die beachtenswert ist. Die Kupplung ist funktionsfähig (in Grenzen sogar mit Vorentkuppeln), ist an jeder Stelle leicht von oben zu entkuppeln, lässt sich sogar (mit etwas mehr Aufwand) elektromagnetisch entkuppeln, und ist fast umsonst, weil selbstgebaut: Man braucht nicht mehr als Stahldraht von 0,3 mm Stärke und ein paar Zangen. Entstanden ist sie bei Englands Edelmodellbahnern, in Gruppen wie der P4 oder der Scalefour Society, die die Maßstäblichkeit ernst nehmen und daher auf selbstgebauten Gleisen mit einer Spurweite von 18,9 mm fahren (die üblichen 16,5 mm sind für 00 = 1:76 zu schmal!).

Die nachfolgenden Skizzen zeigen, wie die Kupplung gebaut wird und wie sie funktioniert. Die Maße sind ebenso wie die Winkel allesamt nicht kritisch, kürzer allerdings sollte man die Drahtenden nicht machen. Länger kann man sie lassen, damit erweitert man den Bereich, in dem sich die Kupplungs"köpfe" finden, jedoch wird dafür das Entkuppeln etwas schwieriger. Die Länge des Kupplungs­schaftes von etwa 65 mm ist abgestellt auf die sehr kurzen englischen Güterwagen, unter den längeren kontinental­europäischen kann man ihn durchaus etwas länger halten - oder halt gerade eben so lang, dass man einen geeigneten Befestigungs­punkt findet. Andererseits kuppeln auch zwei nur 33 - 34 mm lange Kupplungen (unter KLEIN-Kesselwagen) noch tadellos miteinander, man braucht nur einen Hauch mehr Schwung. Die kürzesten Kupplungen musste ich unter den Kds54 bzw. Kds56 von ROCO anbringen, auch sie sind noch völlig funktionsfähig. Unabdingbar ist lediglich, dass der nach unten zeigende Haken nicht zu senkrecht oder gar zur falschen Seite geneigt steht, dann funktioniert es nicht. (Apropos Kd54: Bei einigen habe ich versuchsweise 0,2-mm-Stahldraht genommen, der hält jedoch das Gewicht eines längeren Zuges beim Anfahren nicht mehr, oder wenn’s wegen Stromunterbrechungen mal ruckelt.)

DrahtkupplungUnter zweiachsigen Fahrzeugen lässt sich die Kupplung ohne irgendwelche Schwierigkeiten an­bringen. Der einfachste Weg ist, ein Loch von 0,3 - 0,5 mm Durch­messer in den Wagen­boden zu bohren und die Kupplung dort ein­zu­kleben. Das reicht, doch ist die Kupplung so gegen versehent­liches zu starkes Verdrehen (z.B. beim Entkuppeln oder vor allem beim Justieren) schlecht geschützt, da jeder Kleber gegen diesen langen Hebel machtlos ist. Deswegen sollte man zumindest den Draht, sofern möglich, auf der Oberseite des Fahrgestells wieder umbiegen und nochmals festkleben, was heißt, dass man durch das ganze Fahrgestell, not­falls ein­schließ­lich Beschwerungs­platte, hindurch boh­ren muss, was ins­besondere bei PIKO-Fahr­gestellen ein hartes Stück Arbeit ist (bei elektrischem Bohren möglichst Plastik- und Metallteile getrennt bohren, da sonst der heiße Bohrer große Löcher in den Kunststoff schmilzt). Sicherer ist es, sofern irgend der Platz unterm Fahrzeugboden reicht, die Kupplung zunächst in einem kleinen Stück Plastik zu befestigen (am besten mit Zwei-Komponenten-Kleber), das man dann seinerseits unter den Wagenboden klebt; dieses Vorgehen empfiehlt sich ohnehin bei Wagen mit Metallfahrgestellen wie Messingbausätzen oder älteren MÄRKLIN-Güterwagen. Verwendet habe ich Stücke der Evergreen-Kunststoffstäbe Nr. 176 (3,2 x 2,5 mm) für wagen mit tiefem Boden und Nr. 156 (3,2 x 1,5 mm) für solche mit flachem Boden wie z.B. von FLEISCHMANN.

DrahtkupplungBei Fahrzeugen mit festen Puffern muss das hintere Ende des Kupplungs­hakens in jedem Fall soweit vor der Pufferebene liegen, dass die Kupplung auch im Bogen sicher einkuppelt. Beim gezogenen Wagenverband haben die Puffer dann etwa 1 - 2 mm Abstand, also nicht mehr als bei allen anderen Kurzkupplungen auch. Wagen mit Federpuffern können natürlich enger gekuppelt werden; hier ist die Ebene der eingedrückten Puffer das entscheidende Maß, aber je mehr Federweg man nutzt, desto eher werden leichtere Fahrzeuge weggeschoben, bevor sich die Kupplung eingehakt hat, insbesondere, wenn die Puffer verhältnismäßig starke Federn haben wie z.B. die LILIPUT-Federpuffer. Man muss sich also entscheiden, was einem wichtiger ist, das Fahren Puffer an Puffer oder die Leichtigkeit des Einkuppelns. Außerdem besteht die Gefahr, dass die Federkraft der Puffer die Wagen (jetzt setze ich RP25-Radsätze voraus) in engen Bögen aus dem Gleis drückt, insbesondere bei schlechter Gleislage. Ich habe mich daher nach meinen Feldversuchen auf dem vorvorletzten FREMO-Jahrestreffen dafür entschieden, alle Haken vor die Pufferebene zu legen, auch bei Fahrzeugen mit Federpuffern. (Die Federpuffer sind ja wohl auch mehr ein Prestigepunkt als eine betriebliche Notwendigkeit...) Dann kuppelt die Kupplung ein, ohne dass mit Schwung angefahren werden müsste oder sich der anzuhängende Wagen auch nur einen Zehntel Millimeter bewegt.

Bei mehrachsigen Fahrzeugen muss man unter Umständen etwas improvisieren. Bringt man die Kupplung am Fahrzeug an, hat man - wie bei den handelsüblichen Kupplungen auch - möglicherweise Schwierigkeiten, in sehr engen Bögen einzukuppeln, allerdings nur bei verschieden langen Fahr­zeugen. Außerdem muss man den Kupplungsdraht um die Dreh­gestell­zapfen herum, unter das Drehgestell durch oder darüber hinweg abbiegen. In jedem Fall sollte man die Kupplung in Fahr­zeug­mitte befestigen, sonst entsteht beim Ziehen eine seitliche Kraft, die leichteren Fahrzeugen Probleme machen kann, vom Optischen mal abgesehen. Die Kupplung kann natürlich auch am Drehgestell befestigt werden, dann allerdings muss man wohl wegen des Ausschlages auf die Nachbildungen der Bremsschläuche und (abhängig vom kleinsten verwendeten Radius) eventuell sogar auf Rangierergriffe verzichten. Bei mehrachsigen Drehgestellen (mehr als 2) dürfte das die Vorzugsvariante sein, z.B. habe ich sie beim FLEISCHMANN-SSt06 gewählt.

Einmal angebracht wird die Kupplung noch justiert, indem der Draht horizontal wie vertikal in die richtige Stellung gebogen wird: genau in der Mitte des Fahrzeugs und 9,5 mm über der Schienenoberkante, damit kommt man unter praktisch jeder Pufferbohle durch. (In England beträgt dieses Maß 10 mm, allerdings sind die 00-Fahrzeuge wegen des Maßstabes von 1:76 auch größer.) Bei tiefer liegenden Fahrzeugen (z.B. LILIPUT) muss man noch einen "Schlenker" nach oben anbringen. Ich habe mir eine Montagelehre gebaut und auf ein Stück Gleis gelötet, damit lässt sich die Stellung des Kupplungskopfes leicht überprüfen.

Loks sind natürlich ein echtes Problem. Zum einen stellt sich die Frage, ob man Streckenloks überhaupt umrüsten will. Denn für Personenwagen, die meist als geschlossene Züge verkehren und bei denen auch voluminösere Kupplungen unter den Übergängen verschwinden, empfiehlt sich die Drahtkupplung weniger, und eine umgerüstete Lok wäre nicht mehr universell einsetzbar. Bis zur Epoche III steht natürlich ein idealer Zwischenwagen zur Verfügung: Der Güterzugpackwagen lief meist hinter der Lok - nur in Endbahn­höfen muss er dann halt gewendet werden, übrigens durchaus vorbildgemäß, denn der Zugführer saß in Fahrtrichtung immer rechts. Bei manchen Loks wie z.B. Tenderloks oder Dieselloks wie der V100 könnte man sich darauf beschränken, ein Ende mit der Drahtkupplung auszustatten, am anderen die Industriekupplung zu belassen und die Lok ja nach Verwendung zu drehen. Bei reinen Rangierloks aber muss man wohl oder übel ran, aber gerade hier reicht der Platz unter dem Fahrzeug wegen des Antriebs oft nicht aus, insbesondere bei Drehgestellloks. Notfalls hilft man sich mit einer Kurzversion unter Benutzung der "echten" Kupplungsaufnahme; natürlich federt diese Kurzlösung kaum noch, so dass die notwendige Seitenbewegung auf der Fahrzeugseite passieren muss. Die ROCO-V60, die Weinert-V20 und -V36 haben mich jedoch vor keine größeren Probleme gestellt. Bei meiner LEMACO-V60 tüftele ich noch.

Allerdings sind auch einige Güterwagen nicht ganz einfach umzurüsten. Bei den O-Wagen-Modellen von KLEIN hält die Kurzkupplungskinematik, die auch ein kurzer Güterwagen offensichtlich unbedingt braucht (weiß jemand, warum?), die Radsatzhalter, die man deswegen nach Entfernen der Kupplung im Fahrgestell befestigen muss, was mit den üblichen Kunststoffklebern nicht sicher gelingt, denn das Material der Achshalter (Nylon?) klebt sich nicht gut. Selbst bei Zweikomponentenkleber fällt bei allzu sorglosem Anpacken mal ein Radlager heraus. Oder die Kesselwagen von PIKO/PREFO/SACHSEN­MODELLE, deren filigranes Fahrgestell kaum einen Befestigungspunkt bietet. Aber alles keine unlösbaren Aufgaben!

Einen weiteren Punkt gibt es zu beachten: Manche Fahrzeuge, vor allem Loks aus Großserienfertigung, haben ein erhebliches Seitenspiel im Gleis. Deswegen ist die mittige Lage der Kupplung im Gleis unvorhersagbar. Bei der von mir umgerüsteten V60 von ROCO beträgt das Seitenspiel am Lokende mehrere Millimeter! Dies liegt natürlich an der großen Seitenverschieblichkeit der Achsen, die unter FREMO-Bedingungen sowieso über­flüssig wie ein Kropf ist. Aber dazu demnächst mehr.

Die Kupplung hält ohne Probleme das Gewicht eines Zuges. Verbieten muss man sich wahrscheinlich aber Noteingriffe wie das Festhalten des Zuges an einem hinteren Wagen. Andererseits: Eine verbogene Kupplung ist angesichts der geringen Gestehungskosten auch kein Drama. Hat man einmal etwas Übung, geht das Biegen der Kupplung blitzschnell; ein paar Dutzend sind während eines Fernsehkrimis gut zu schaffen. UHU-Plus aller Spielarten lässt sich von allen Oberflächen auch gut wieder entfernen.

Entkuppelt werden die Fahrzeuge am wirkungsvollsten mit einer kleinen zweizinkingen Gabel, die zwischen die Puffer gesteckt und gegen der Uhrzeigersinn gedreht wird. Mit Hilfe des in der Abbildung gezeigten Bügels aus Eisen- oder Stahldraht, der in der Seitenansicht hinter den Achshaltern verschwindet, kann die Kupplung auch (elektro)magnetisch entkuppelt werden, z.B. mit KADEE-Entkupplern, die unter den Schwellen montiert werden und nicht zu sehen sind. Allerdings habe ich das nicht ausprobiert, halte es auch für überflüssig, da unter FREMO-Betriebsbedingungen ein Güterwagen im allgemeinen nicht am Platz des Entkupplers entladen wird.

Eines muss man sich jedoch unbedingt klar machen: Beim geschobenen Zug werden die Kräfte - andres als bei jeder anderen Kupplung - tat­sächlich und ausschließlich von den Puffern übertragen. Das stellt gewisse Anforderungen an den Gleisplan: Da die Puffer in gar keinem Fall aneinander vorbei gleiten dürfen ("Überpufferung" sagt man dazu beim Vorbild), sind die Kautelen der großen Eisenbahn, als da sind Über­gangs­bögen und vor allem Zwischengeraden zwischen gegenläufigen Krümmungen, ein unbedingtes Muss auch für die Modellanlage.

Ich habe mittlerweile genug Güterwagen umgerüstet für eine Betriebssession auf einem H0-P- oder einem kleineren H0-EUR-Arrangement. Einem ausführlichen Feldversuch steht also nichts entgegen.